Peter Handke ist für mich der feinfühligste Mensch
Bei Peter Handkes Rede anlässlich der Verleihung des Nobelpreises für Literatur erklangen in der Schwedischen Akademie erstmals auch slowenische Worte. Der Meister der deutschen Sprache ist mit dem Slowenischen und mit seiner Heimatgemeinde Griffen eng verbunden.
Autor BOJAN WAKOUNIG
Fotos BOJAN WAKOUNIG, VINCENC GOTTHARDT
„Peter Handke wurde am Nikolaustag des Jahres 1942 in Altenmarkt bei Griffen in Südkärnten geboren, in einer Gegend also, in der die Umgangssprache (auch) die slowenische Mundart war. Die Mehrheit der Bevölkerung beherrschte sie zwar, das hieß aber noch nicht, dass sie sie auch verwendete. Grund dafür war nicht nur die Verfolgung der Slowenen in der Nazizeit. Schon zur Zeit der Kärntner Volksabstimmung 1920 fühlte und dachte die Mehrheit deutsch, ungeachtet der Sprache, in der sie fluchte und sang. Deshalb wurde Handkes Großvater Gregor Siutz (oder Sivec, wie der Name im 19. Jahrhundert geschrieben wurde) vulgo Wunder mit dem Erschlagen bedroht, als ruchbar wurde, dass er für das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS) votiert hatte. Er hatte drei Söhne, deren ältester, Gregor, so Handke, der letzte bewusste Slowene in der Familie gewesen ist. Weil er sich in der Ackerbauschule in Maribor (altösterreichisch: Marburg an der Drau) fortbildete, habe er die nationalen Unruhen in die Familie getragen“. So schrieb Fabjan Hafner in seinem Buch Peter Handke – Unterwegs ins Neunte Land (Zsolnay, 2008), in dem er die engen Bande des Literaturnobelpreisträgers mit der slowenischen Sprache, seiner slowenischen Herkunft und der slowenischen Kultur untersuchte. Hafner schreibt auch, dass der im Zweiten Weltkrieg gefallen Onkel Gregor Handkes Taufpate war und dass sich sein Neffe „von jeher mit ihm identifizierte. Der Onkel Gregor war seit seiner Jugend sein unsichtbares Vorbild“. An mehreren Stellen hat er ihm in seinen Werken ein literarisches Denkmal gesetzt, vor allem im Buch Immer noch Sturm, in dem sich Handke mit seiner Familiengeschichte und dem Widerstand der Kärntner Slowenen gegen das NS-Regime auseinandergesetzt hat.
Vom der Anfangssprache zum Neunten Land
Mütterlicherseits ist Peter Handke slowenischer Abstammung, sein leiblicher Vater war aber ein Wehrmachtsoldat aus Ostdeutschland, genauso auch sein Stiefvater. Hafner schreibt über Handke, „er betont mehrfach, das Slowenische sei seine Anfangssprache gewesen. Seine Schreibsprache wurde, bedingt durch die frühe Übersiedlung nach Berlin, die Heimatstadt des Stiefvaters, das Deutsche“. Die Formulierung eines slowenischen Autors vom „deutschen Schriftstellertum des slowenischen Dichters Handke“ ist daher „mit äußerster Vorsicht zu genießen“, betont Hafner. Die Frage sei weitaus komplexer. In Handkes Opus fehlt es nicht an Verweisen auf die slowenische Sprache, Kultur und Herkunft. Auch Ambivalenz kommt vor, wie im autobiografischen Text 1957, in dem er sich an seine Zeit im Bischöflichen Knabenseminar Tanzenberg erinnert. „Bei der Beschreibung seiner slowenischen Mitschüler gehört der ansonsten isolierte Jugendliche mit einem Mal einer Gruppe – der Mehrheit – an, die der Minderheit empfiehlt, sich außer Landes zu begeben und zu ihresgleichen zu gesellen“. Hafner beschreibt hier explizit, dass Handke anfangs dem Slowenischen gegenüber keine wohlwollende Haltung hatte. Dies war natürlich völlig im Einklang mit der Einstellung seiner übrigen Familie und auch mit der damals vorherrschenden Atmosphäre in Kärnten.
Bei Handke kam es aber zu einem Sinneswandel und er begann sich immer mehr auch für die slowenische Seite seiner Familie zu interessieren. Im Jahre 1975 setzte er sich in seiner Fernsehrede zum zwanzigsten Jahrestag der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages für die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln in Südkärnten ein, im Jahre 1987 wurde er korrespondierendes Mitglied der Slowenischen Akademie der Wissenschaften und der Künste. Mit der Übersetzung des Romans Der Zögling Tjaž des Schriftstellers Florjan Lipuš und der Gedichte Gustav Januš (von dem er behauptet, er sei das einzige lebende Genie, das er kenne) vom Slowenischen ins Deutsche ebnete er den beiden kärntnerslowenischen Autoren den Weg in den deutschsprachigen Kulturraum und dies beim angesehenen Suhrkamp Verlag. Und Slowenien wurde für ihn allmählich zu einem „Neunten Land“, einem Traumgebilde, von dem er angesichts der ihm nicht genehmen Realität Abstand nehmen musste.
Auf Seite der slowenischen Schriftsteller
Mit den Slowenen, insbesondere den Kärntner Slowenen blieb Handke trotz gelegentlicher Spannungen (sein Unverständnis für die slowenischen Unabhängigkeitsbestrebungen und sein Einsatz für Serbien fanden in Slowenien nicht unbedingt Anklang) aufrichtig verbunden. Als er ihm Jahre 2002 den Ehrendoktortitel der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt erhielt, empfahl er dem Publikum doch „gefälligst“ drei kärntnerslowenische Autoren zu lesen: Andrej Kokot und seine Erinnerungen an die Deportation seiner Familie durch die Nazis sowie Karel Prušnik - Gašper und Lipej Kolenik und deren Erinnerungen an den Partisanenwiderstand gegen das NS-Regime. Und als ihm im Jahr 2013 der Rat der Kärntner Slowenen und der Christliche Kulturverband den Einspielerpreis für „seinen Einsatz für die slowenische Literatur in Kärnten“ verliehen, stellte er sich erneut auf die Seite der slowenischen schreibenden Zunft. „Was Lipuš schreibt, ist Weltliteratur. Es geht darum, dass die Menschen Lipuš, Januš und Maja Haderlap lesen und diese ihren Stellenwert bekommen. Ich bin nur ein Gefährte und betone nur das, was Universelles in der Literatur der Kärntner Slowenen geschehen ist. Und das ist kräftig angesichts der Gefahr, diese Literatur könnte verloren gehen. Diese Literatur ist mit Schmerz entstanden – Lipuš verlor seine Mutter im Konzentrationslager – und muss weiter vermittelt werden. Diese Literatur muss mit dem Herzen gelesen werden. Das Herz des Lesers ist das größte der Welt. Beim Lesen dieser Literatur wird das eigene Herz entdeckt. Das Herz wird größer und trauriger, tragischer und freundlicher. Tragisch dabei ist, dass diese Literatur bedroht ist verloren zu gehen“, waren damals Handkes Worte in der Klagenfurter slowenischen Kirchenzeitung Nedelja zu lesen.
Bojan Wakounig
Vincenc Gotthardt
Bojan Wakounig
Eine Freundschaft aus dem Landgasthaus
Schon ein halbes Jahrhundert währt die Freundschaft zwischen Peter Handke und dem mittlerweile pensionierten Beamten der Marktgemeinde Griffen Valentin Hauser. Sie lernten sich kennen, als Handke ein Landgasthaus besuchte und Hauser dort gerade mit seinen Griffner Buam auftrat: „In Landgasthäusern fühlt er sich wohl. Wenn er aus Chaville bei Paris, wo er sehr einfach lebt – im Vergleich zu ihm leben wir alle im Luxus -, nach Österreich und in seinen Heimatort kommt, dann ist ihm nicht ein Empfang beim Bundespräsidenten oder in Künstlerkreisen wichtig, sondern, dass er sich einmal im Jahr mit den Arbeitern beim Bauhof Griffen trifft. Am liebsten ist er mit Menschen, die Straßen kehren oder mit Lastnern und Walzen fahren. Statt eines großen Fests zu seinem 5-er hat er den Mitarbeitern vom Bauhof lieber einen Ausflug auf die steirische Weinstraße spendiert“.
Nachdem sie sich zufällig im Gasthaus kennengelernt haben, hatten sie zunächst vor allem dienstlichen Kontakt. Hauser besorgte Handke Dokumente, langsam entwickelte sich daraus eine wahre Freundschaft. „Wenn man Handke als Freund kennt, hat man von ihm ein ganz anderes Bild als wenn man ihn nur aus den Medien, vom Fernsehen kennt, wo er ja auch provoziert. Für mich ist er der feinfühligste Mensch. Natürlich, wenn er sich in die Ecke gedrängt fühlt, dann kann er auch hart werden. Aber für einen Freund würde er alles machen“.
Den ganzen Nachmittag sind wir zusammengesessen und haben debattiert. Besonders die Frage des Wortes hat ihn beschäftigt. Das Wort muss man schätzen, man muss es lieben, hat er gesagt. Die Eltern haben es vermittelt und mit Ehrfurcht muss man es weitergeben. Und deshalb, Hans, hat er mir gesagt, schmerzt es mich so sehr, dass manchmal deine Mitbrüder das Wort mit so wenig Liebe verkünden. Es ist doch Gottes Wort. Die Muttersprache und das Wort Gottes stehen für Handke in einer Reihe.
Im Fernsehen anders als in Wirklichkeit
Als Beispiel für Handkes Feinfühligkeit erinnert sich Hauser an eine sehr persönliche Begebenheit: „Vor einigen Jahren ist unsere Schwiegertochter gestorben. Ungefähr zehn Tage später läutete das Telefon und Handke fragte, ob bei uns alles in Ordnung sei. Ich habe ihn gefragt, wieso? Weil er das Gefühlt hat, bei uns stimmt etwas nicht, hat er darauf gemeint. Als ich ihm dann gesagt habe, was passiert ist, hat er geantwortet, dass er schon seit drei Tagen zum Telefon geht, den Hörer in die Hand nimmt, aber sich nicht traut anzurufen. Dass er etwas geahnt hat. Im Fernsehen ist er dann aber gleich um zweihundert Prozent anders als in Wirklichkeit.“
Der Nobelpreisträger für Literatur hat für Hauser, der selbst Autor von Büchern über die Geschichte Griffens und seiner Umgebung ist, auch Texte lektoriert. „Er hat mir einen Haufen Adjektive rausgestrichen, mit der Begründung, der Leser muss selbst herausfinden, dass es sich um ein grausames Verbrechen handelt, man braucht ihm das nicht schon im Voraus zu servieren.“
Im Buch „Die Bluttaten des Franz. P.“ (Hermagoras-Verlag) schrieb Hauser über zwei Familientragödien während des Zweiten Weltkrieges in der Gemeinde Griffen. Es stellte sich heraus, dass es sich bei den Ermordeten um Handkes Verwandte handelte und der weltberühmte Schriftsteller auch selbst schon darüber geschrieben hatte. „Als ich ihm den Text gezeigt habe, den er fast schon vergessen hat, fing er an laut zu lachen und konnte gar nicht mehr aufhören. Dann hat er gesagt: so kann man nicht schreiben, nein, so geht es nicht. Über den eigenen Text hat er so geredet. Und hat dann gemeint: ´Ich war jung, ich habe provoziert, ich musste provozieren´. Und dann zeigte er mir einen Satz, der am Anfang der Seite begonnen, aber erst in der Mitte geendet hat. ´Heute´, hat er gesagt, ´würde ich das anders schreiben´“.
Lieber in Griffen beim Fußball als in Wien bei der Premiere
Hauser erinnert sich auch an eine Begebenheit, die von Handkes Nahverhältnis zu den Arbeitern wie auch zur slowenischen Sprache zeugt. „Als er mit den Arbeitern vom Bauhof zusammensaß, es war schon nach Mitternacht, als alle schon etwas getrunken hatten, hat ihm einer der Arbeiter gesagt, dass er mit ihnen auch Slowenisch reden kann, weil sie es eh verstehen. Er hat ihnen gesagt, dass er es nicht so gut kann, weil er es erst später erlernt hat. Und dann war er ganz ruhig. Auf einmal ist er aufgestanden und hat verkündet, dass er es doch kann. Und dann hat er begonnen, auf Slowenisch zu fluchen. Das sind die Worte seines Großvaters, hat er gesagt, wenn er sich geärgert hat, dann hat er auf Slowenisch geflucht“.
Hauser erinnert sich auch, dass Handke in jungen Jahren nie das Wort Heimat erwähnt hat, er habe nur vom Herkunftsort geredet. „Jetzt redet er wieder von der Heimatgemeinde. Auch beim Fußball fühlt er sich dem Heimatort verbunden. Lange Jahre musste ich ihm per Fax die Resultate des Griffener Fußballvereins schicken“. Als er im Jahr 2008 gefragt wurde, was er über die in Österreich stattfindende Europameisterschaft denke, hat er nur geantwortet, dass ihn das überhaupt nicht interessiere. „Ihn interessieren nur die Resultate des Fußballvereins aus seiner Heimat“.
Diese enge Beziehung veranschaulicht eine weitere Anekdote. „Als in Wien die Premiere eines seiner Stücke anstand, hat er auch mir Eintrittskarten besorgt. Um zwei am Nachmittag hätten wir losfahren müssen, als wir gerade mit dem Griffener Bürgermeister zusammengesessen sind. Der hat gesagt, dass er das Fußballspiel zwischen Griffen und Völkermarkt schauen geht. Handke hat gleich gefragt: Wann ist das? Heute? Valentin, wir gehen nicht nach Wien, wir bleiben hier und schauen uns das Fußballspiel an.“
Er hat ihnen gesagt, dass er es nicht so gut kann, weil er es erst später erlernt hat. Und dann war er ganz ruhig. Auf einmal ist er aufgestanden und hat verkündet, dass er es doch kann. Und dann hat er begonnen, auf Slowenisch zu fluchen. Das sind die Worte seines Großvaters, hat er gesagt, wenn er sich geärgert hat, dann hat er auf Slowenisch geflucht.
Bojan Wakounig
Bojan Wakounig
Bojan Wakounig
Das Wunschlose Unglück wurde ihm nachgetragen
Ein guter Freund Handkes ist auch der Griffener Pfarrer Johann Dersula, der über ihn genauso sagt, er sei „sehr sensibel, sehr feinfühlig, er kann sich in die Seele eines anderen vertiefen und beobachten. Er nimmt Details des Lebens und der Welt wahr“. Dersula bestätigt auch, dass der bei Paris lebende Schriftsteller eine besondere Beziehung zu seinem Heimatort habe. „In den vierzig Jahren, seit ich in Griffen bin und Handke kenne, ist die Beziehung eine ganz andere geworden. Früher hatte er Vorurteile, die Verbundenheit hat sich erst langsam entwickelt. Auch ihm gegenüber war man hier nicht gesonnen, weil er im Wunschlosen Unglück die Verhältnisse in Griffen sehr offen beschreibt. Die Menschen haben sich gebrandmarkt gefühlt und ihm das nachgetragen.“
Das Slowenische ist aus der Öffentlichkeit in Griffen völlig verschwunden, weiß Pfarrer Dersula zu erzählen. „Nur noch bei Begräbnissen bittet ein-, zweimal in fünf Jahren eine Familie um ein slowenisches Wort.“ Die alten können manchmal noch Slowenisch, die jungen nicht mehr. „Einmal ist eine jüngere Frau zu mir gekommen, ihre Tante war krank. Sie hat sich irgendwie gewunden, wusste aber nichts zu sagen. Dann habe ich sie gefragt, ob die Tante Slowenisch spricht und sie hat geantwortet, dass sie überhaupt kein Deutsch kann. Da habe ich sie beruhigt, dass ich beide Sprachen spreche. Als wir dann bei der Tante waren, war diese überglücklich, in ihrer Muttersprache reden zu können. Sogar ihr Arzt hat mich gebeten, ihm bei der alten Frau mit dem Übersetzen behilflich zu sein, er würde so gerne mit ihr reden. Sie aber hat gar kein Deutsch gekonnt!“
Ehrfurcht vor der Muttersprache und dem Wort Gottes
Sowohl Valentin Hauser als auch Pfarrer Johann Dersula bestätigen, dass Peter Handke ein inniges Verhältnis zum Glauben und der katholischen Kirche hat. „Den ganzen Nachmittag sind wir zusammengesessen und haben debattiert. Besonders die Frage des Wortes hat ihn beschäftigt. Das Wort muss man schätzen, man muss es lieben, hat er gesagt. Die Eltern haben es vermittelt und mit Ehrfurcht muss man es weitergeben. Und deshalb, Hans, hat er mir gesagt, schmerzt es mich so sehr, dass manchmal deine Mitbrüder das Wort mit so wenig Liebe verkünden. Es ist doch Gottes Wort. Die Muttersprache und das Wort Gottes stehen für Handke in einer Reihe“, sagt Pfarrer Dersula. Er erinnert sich auch, dass Handke mit seiner Familie extra aus Paris angereist kam, um seine Tochter Leocadie in Griffen taufen zu lassen. Dersula war es auch, der Handke die Lauretanische Litanei in slowenischer Sprache geschickt hat. Jene Marienlitanei, aus der Handke dann in Stockholm vor der gesamten Weltöffentlichkeit zitiert hat.