Auf dem Weg des Buben mit den Maiglöckchen, der zum Schriftsteller wurde

Die Bewohner des Miestales, vor allem aber jene in Kotlje, sind stolz auf den Schriftsteller Lovro Kuhar, besser bekannt unter dem Namen Prežihov Voranc. Ihm zu Ehren wurde der Voranc-Weg trassiert, der Kultur und Natur zu einer Einheit verbindet.

    Autor JOŽE KOŠNJEK
    Übersetzung BOJAN WAKOUNIG
     Fotos GORAZD KAVČIČ

„Lovro Kuhar ist eine bedeutende Persönlichkeit nicht nur aus lokaler, sondern auch aus internationaler Sicht. Seine Bedeutung sprengt den lokalen, slowenischen Maßstab. In ihm vollendet sich alles Streben der Volksseele nach Freiheit. Kotlje ist das Umfeld, in dem Lovro Kuhar in all seiner menschlichen, politischen und künstlerischen Gesamtheit hervortritt“, schrieb der aus Prevalje stammende Literat, Bibliothekar, Historiker und Publicist Franc Sušnik. Es verwundert nicht, dass schon vor einem halben Jahrhundert Besucher nach Kotlje (Köttlach) kamen, um die mit dem Leben des Schriftstellers Lovro Kuhar, besser bekannt als Prežihov Voranc, verbundenen Orte kennenzulernen. Der Name Prežihov Voranc setzt sich aus dem vulgo Namen seines Elternhauses – Prežih – und der Dialektform des Namens Lovro – Voranc – zusammen. 

Der Bub mit den Maiglöckchen

Die Skulptur des Buben mit den Maiglöckchen in der Hand, vom Bildhauer Stojan Batič im Jahr 2002 erschaffen und im Ortszentrum von Kotlje stehend mit Blick auf die Prežih-Hube in Preški Vrh gerichtet, ist der Beginn des Voranc-Weges. Der Bub mit den Maiglöckchen ist Prežihov Voranc selbst und stellt eine Erinnerung an jenen Tag dar, als er als Hirte auf dem Kogel frühmorgens in die düstere und angsterregende Schlucht Pekel („Hölle“) hinabstieg, um der Mutter ihre Lieblingsblumen zu bringen – Maiglöckchen. Im Buch Maiglöckchen, das im Jahre 1949 erschien, als der Autor schon schwer krank war, sind elf Geschichten veröffentlicht, die erste mit dem titelgebenden Namen Maiglöckchen. Auf der anderen Straßenseite steht eine Stahlskulptur in Gestalt von Maiglöckchen, die wiederum daran erinnert, dass jedes Jahr in jener unheimlichen Schlucht zwischen den Gehöften Kogelnik und Kumer im Mai das Maiglöckchenfestival stattfindet. Auf der Waldbühne treten dann in furchteinflößenden Geschichten Schauergestalten auf und den Besuchern werden Teufelsspucke, Höllenaufstrich, Teufelseier und andere Grausamkeiten serviert.

Kot, Kogel und Pekel

Am verfallenden Komplex des ehemaligen Heilbades Rimski vrelec (Römische Quelle) vorbei – das dort entspringende Mineralwasser, mit dem man vortrefflich den Durst löschen kann, wird bei Anämie sowie bei Herz- und Kreislauferkrankungen empfohlen – kommt man auf bequemen Wege zur nächsten, dritten Station des Voranc-Weges, in seinen Geburtsort in Kot bei Podgora. Im Kotnik-Haus kam Lovro Kuhar, wie der amtliche Name des Schriftstellers lautet, am 10. August 1893 zur Welt. Das Originalhaus steht heute nicht mehr. Die Besitzer der heutigen Liegenschaft, die Familie Trupe, ließen am Haus eine Gedenktafel anbringen, das alte Haus ist auf einer Schautafel neben der Straße dargestellt.

Nach dem Weiler Kot bzw. Podgora steigt die Straße entlang des Baches Kotuljščica langsam bis zu den nächsten zwei Stationen an: der Anhöhe Kogel und der Schlucht Pekel. Die Geschehnisse in der Schlucht Pekel sind, wie schon erwähnt, literarisch in der Erzählung Maiglöckchen verarbeitet. Am Kogel, wo die Familie Kuhar, die oft siedeln musste, ein Stück herrschaftlichen Besitzes pachtete, begann der kleine Voranc im Jahre 1899 die Volksschule zu besuchen. Nicht nur die Schlucht Pekel und die umliegenden Hänge, wo er Kühe hüten musste, machten einen starken Eindruck auf ihn, sondern auch die mächtigen Linden, die er in der Erzählung Maiglöckchen beschreibt. In ihrem Schatten beobachtete der kleine Voranc im Jahr 1899 einen Großbrand in Kotlje. Das ehemalige Wohnhaus der Familie Kuhar gibt es heute nicht mehr, die Erinnerung daran ist auf alten Fotografien erhalten.

Die sechste Station des Voranc-Weges ist der See Ivarčko jezero, über dem das Gehöft Ivartnik thront, im Roman „Jamnica in der Senke“ Bunk genannt. Am früher bei den Stahlarbeitern von Ravne und den Bewohnern des Miestals beliebten Ausflugsort und dem ehemaligen Skizentrum Ošven – der dortige Sessellift ist nach seiner Verlegung heute auf der Petzen in Betrieb – hat der Zahn der Zeit seine Spuren hinterlassen. Nichtsdestotrotz besuchen noch heute zahlreiche Naturliebhaber diesen Platz am Fuße des Ursulabergs.

Die Ruinen der Burg Schrottenegg (Šratnek) sind die siebente Station des Voranc-Weges. Nur einen Steinwurf entfernt liegt die Kirche der hl. Hermagoras und Fortunat auf einer Türkenschanze, einem Wehrbau aus den Zeiten der Türkeneinfälle. Der sanft verlaufende Weg führt den Besucher weiter bis nach Preški Vrh und zum Mihev- und Krautbergergehöft, wo die Kuhar-Familie einige Zeit ihr Heim hatte. Beim Krautberger war Voranc´ Mutter zu Hause.

Sein unerfüllt gebliebener Wunsch

Preški Vrh und der Köttlacher Friedhof sind die letzten Stationen des Voranc-Weges und auch seines Lebens. In den Jahren 1900–1911 wohnte die Familie im alten Bauernhaus der Prežih-Hube zur Miete. Von dort stammt auch Lovro Kuhars vulgo Name Prežihov Voranc. Im Jahr 1911 konnte sein Vater mit der nahegelegen Prežih-Keusche endlich seinen eigenen Besitz erwerben. Dieser Ort auf der Sonnenleiten war Voranc` Lieblingszuhause. Hier arbeitete, ackerte und tischlerte er, von hier ging er zur Arbeit nach Gutenstein bzw. Guštanj auf Slowenisch, wie sich das heutige Ravne na Koroškem bis zum Jahre 1952 nannte, und später in die Genossenschaftsschule nach Ljubljana und nach Wien. Von Preški Vrh aus musste Lovro Kuhar in den Krieg ziehen und später ins Exil, da er als bekannter Kommunist unter ständiger Beobachtung des damaligen jugoslawischen Regimes stand. Hier entstanden seine ausgezeichneten Erzählungen. Auch nach dem Zweitem Weltkrieg kehrte er nach Preški Vrh zurück, in die Čas-Villa nahe des Prežih-Gehöftes, die ihm und seiner Frau vom neuen kommunistischen Regime zur lebenslangen Nutzung zugeteilt wurde. Hier lebte er bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1950. In Preški Vrh wurde 1979 ein großes vom Bildhauer Stojan Batič gestaltetes Bronzedenkmal errichtet. Schon früher, im Jahre 1974, erbauten Pfadfinder eine Holzskulptur der Wildwüchslinge aus der gleichnamigen Erzählung des Schriftstellers nach einem Entwurf des Bildhauers Peter Jovanovič. Vor dort aus blickt Voranc heute auf Kotlje und die umliegenden Berge, auch auf den 1699 Meter hohen Ursulaberg. Hier wollte er begraben werden. Sein Wunsch blieb unerfüllt. Seinen letzten Ruheort fand er in Kotlje bei der Kirche der hl. Margaretha. Das Prežih-Haus mit den landwirtschaftlichen Nebengebäuden ist heute ein Museum.

Am Köttlacher Friedhof endet der Voranc-Weg am Grab der Familie Kuhar. Lovro Kuhar-Prežihov Voranc starb am 18. Februar 1950 und liegt neben seinen Familienangehörigen begraben.


Erfolgreiche Brüder des Schriftstellers

In Kotlje werden jedes Jahr die Kuhar-Tage veranstaltet. Anfangs waren sie nur der Erinnerung an Prežihov Voranc gewidmet, in den letzten Jahren aber auch seinen Brüdern Alojzij, Ivan und Avgust. An Alojzij, der gleich zweimal promovierte, erinnert ein Denkmal an der Fassade des Köttlacher Pfarrhofes. Er war Geistlicher, aber auch als Diplomat, Jurist und Journalist tätig. In der Vorkriegszeit war er in diplomatischen Diensten des damaligen Jugoslawiens, während des Zweiten Weltkrieges wirkte er in der jugoslawischen Exilregierung in London mit. Nach Kriegsende emigrierte er nach New York und war dort Priester. Er starb am 1. November 1958 und ist am slowenischen Friedhof der Pfarre des hl. Kreuzes in Bridgeport in der Nähe von New York begraben. Der Bruder Ivan wurde im Jahre 1944 in der Nähe von Preški Vrh von der Gestapo getötet, der Bruder Avgust war als Techniker Spezialist in der Eisen- und Stahlindustrie aktiv, schrieb aber auch für Zeitungen.

Alle Informationen zum Voranc-Weg gibt es im Tourismusbüro TIC Ravne na Koroškem, Partizanska ulica 3, 2390 Ravne na Koroškem, Telefon: 02/82 21 219, E-Mail: tic@zkstm.si oder danica@zkstm.si.  

Wer war Lovro Kuhar?

Lovro Kuhar oder Prežihov Voranc (sein Pseudonym stammt vom vulgo Namen der Prežih-Hube in Preški Vrh, Voranc ist die Dialektform des Namens Lovro) wurde am 10. August 1893 geboren. Nach der Volkschule wurde der begabte Lovro in die Genossenschaftsschule nach Ljubljana und Wien geschickt. Er las viel, vor allem die bei der Hermagors-Gesellschaft in Klagenfurt erscheinenden slowenischen Bücher, und begann schon in jungen Jahren zu schreiben. Im Ersten Weltkrieg war er an der Isonzofront stationiert, geriet aber – aus eigenem Willen – 1916 in italienische Kriegsgefangenschaft. 1919 begann er im Stahlwerk in Guštanj (Gutenstein), dem heutigen Ravne na Koroškem, zu arbeiten, wo er sich alsbald für den Sozialismus begeisterte und 1920 in die Kommunistische Partei Jugoslawiens eintrat. Um der Überwachung durch die Obrigkeit zu entgehen, ging er 1929 nach Paris und wurde hochrangiger Funktionär der Kommunistischen Internationale, war oft in Haft, wo er auch schrieb und Josip Broz – Tito kennenlernte. Mit ihm und einigen anderen Parteifunktionären stand er aber nicht in guten Beziehungen, was sich später noch zeigen sollte. 1939 kehrte er nach Hause zurück und war bis zur seiner Verhaftung durch die deutschen Machthaber im Jahr 1943 in der Illegalität tätig. In Berlin wurde ihm der Posten als Präsident eines Marionettenstaates, der im südlichen und westlichen Slowenien errichtet werden sollte, angeboten. Prežihov Voranc lehnte das Angebot ab. Er wurde im KZ Sachsenhausen interniert und später nach Mauthausen verlegt, wo er schwer erkrankte. Seine Frau Marija und die Töchter Vida und Mojca wurden im KZ Ravensbrück interniert. Aus dieser Zeit stammt auch jene Geschichte, die das Zerwürfnis zwischen Prežihov Voranc und Tito illustriert. Als Tito 1944 den slowenischen Literaturkritiker Josip Vidmar fragte, welchen eingesperrten Parteifunktionär aus Slowenien man für einen gefangengenommenen deutschen Major austauschen könnte, schlug Vidmar Prežihov Voranc vor. Tito wies ihn aber mit den Worten zurück, dieser werde sich schon selber helfen können und man solle jemanden vorschlagen, der sich in einer noch misslicheren Rolle befindet … Der Schriftsteller wurde auch deshalb als störend empfunden, weil er sich nach dem Krieg im kommunistischen Jugoslawien für den Weiterbestand der Hermagoras-Gesellschaft einsetzte, von der er überzeugt war, sie habe durch ihre Bücher dem slowenische Volk lesen und schreiben beigebracht. Er starb am 18. Februar 1950.

Über den Berg zum Vater (Čez goro k očetu)

So nennt sich eine herzergreifende Erzählung von Prežihov Voranc, die in einer kalten Weihnachtsnacht des Jahres 1932 spielt. Seine Frau Marija begab sich damals mit den beiden Töchtern – der siebenjährigen Vida und der fünfjährigen Mojca – auf einen 14-stündigen Marsch von Črna na Koroškem nach Eisenkappel, von wo aus sie nach Klagenfurt weiterfahren wollte, um sich mit dem Ehemann und Vater zu treffen, der sich auf der Flucht befand. Doch er kam nicht zum ausgemachten Treffpunkt, da er kurz davor von der Polizei verhaftet wurde. Zum Gedenken an diesen Gewaltmarsch der Mutter mit den kleinen Töchtern wird jedes Jahr eine Wanderung auf deren Spuren organisiert. In Jahren mit ungerader Zahl findet sie am Tage statt, in Jahren mit gerader Zahl in nächtlichen Stunden. Der (doch um einiges verkürzte) Weg führt über den Luschasattel bis zum Rastočnik in Leppen bei Eisenkappel.