Mehr als ein halbes Jahrtausend unter der Linde beim Miklav

Im Rahmen des grenzüberschreitenden Interreg-Projekts SmartTourist erscheinen auch Bücher, die das literarische und kulturelle Erbe des Karawankengebiets beleuchten. Zwei historische Erzählungen des slowenischen Schriftstellers Fran Zbašnik spielen sich in der Umgebung von Eisenkappel ab – Die Linde beim Miklav und Das Begräbnis.

Autor BOJAN WAKOUNIG
Fotos BOJAN WAKOUNIG, JUSTINE HRIBERNIK, MOHORJEVA HERMAGORAS

Es war am Samstag, den 23. September des Jahres 1473. Obwohl also schon der Herbst nahte, war es doch noch recht warm. Der Himmel war dunkelblau und im wahrsten Sinne des Wortes klar wie ein Fischauge. Nicht das kleinste Wölkchen war am Himmelsbogen zu sehen.

An solchen Tagen öffnet sich beim Miklavhaus ein herrlicher Blick auf verschiedene Bergriesen dem Auge. Rechts hinüber, das ist schon fast gegen Norden, sieht man den Obir mit seinem weit ausgebreiteten Kamm. In südwestlicher Richtung ragt der spitze Storžič gegen den Himmel, noch weiter nach rechts hin hebt die senkrechte Košuta ihre beiden Hörnchen hoch. Im Osten hast du die stolze Olševa, gegen Süden jedoch begegnet dein Auge den herrlichsten Wäldern, die seinerzeit sogar noch dichter zugewachsen waren als heutzutage.

Es war noch früher Morgen und die Luft umso reiner. Jede einzelne Rillung auf den Schneebergen war leicht zu unterscheiden, und der Mensch vermeinte, die Berge hätten sich um einige Meilen genähert ‒ so deutlich konnte man alle Einzelheiten auf ihnen sehen.

Aber beim Miklav gab es an diesem Tage niemand, der die Berge beachtet und sich über den schönen Ausblick gefreut hätte. Über dem Hause breitete sich wohl der klare Himmel, drinnen im Hause aber zogen Gewitter auf, dass es blitzte und donnerte. Zornige Blicke zuckten wie Blitze hin und her, man hörte Toben und Gepolter, das an wahren Donner erinnerte.

Das Menschengeschlecht ist halt seit jeher gleich, und es wäre unvernünftig zu denken, es hätte sich in den Jahrhunderten gottweißwas verändert. Verändert haben die Menschen sich vielleicht etwas in den äußerlichen Beziehungen untereinander, im Wesentlichen aber ist ihre Natur wie eh und je. Die gleichen Neigungen, die gleichen Leidenschaften, die gleichen guten und schlechten Eigenschaften hatte der Mensch schon vor Jahrhunderten ‒ und hat sie auch heute“.

„Aber beim Miklav gab es an diesem Tage niemand, der die Berge beachtet und sich über den schönen Ausblick gefreut hätte. Über dem Hause breitete sich wohl der klare Himmel, drinnen im Hause aber zogen Gewitter auf, dass es blitzte und donnerte. Zornige Blicke zuckten wie Blitze hin und her, man hörte Toben und Gepolter, das an wahren Donner erinnerte“.

Eine von Generation zu Generationen weitergegebene Erzählung

Mit diesen Worten beginnt die Erzählung Die Linde beim Miklav (Miklavova lipa) des slowenischen Schriftstellers Fran Zbašnik, die im Jahre 1903 beim HermagorasVerein in Klagenfurt erschien. Die Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten, die am Hof der Familie Miklav (auch: Miklau) in Leppen (Lepena), hoch über Bad Eisenkappel (Železna Kapla) gelegen, von Generation zu Generation weitererzählt wurden. Und so hat sie der Hofbesitzer Florian Miklau dem Schriftsteller Zbašnik (1855–1935) Ende des 19. Jahrhunderts geschildert. Jener Florian, von dem an dieser Stelle noch die Rede sein wird und der besondere Verdienste darum hat, dass das Wissen um die Familiengeschichte der Miklau so gut bewahrt und mit Dokumenten unterlegt wurde.

Doch kehren wir noch kurz zurück zur Erzählung und zu ihrem historischen Hintergrund. Wie die Überlieferung sagt, hatten sich in jener Zeit, als die Türkeneinfälle der Kärntner Bevölkerung immer wieder aufs Neue zusetzten, der damalige Hofbesitzer Florian (ja, auch er hieß Florian) und seine junge Frau Matilde schwer zerstritten. Es musste wirklich ein arger Zank gewesen sein, denn Matilde verließ ihr Heim und kehrte zu ihren Eltern ins Tal zurück. Doch just an jenem Tage, es soll im Jahre 1473 gewesen sein, stürmten türkische Horden über den Seebergsattel nach Kärnten herein und verbreiteten Angst und Schrecken durch ihr Morden, Brandschatzen und die grausame Jagd auf Menschen. Auch Matilde geriet in ihre Gewalt. Eine düstere Zukunft vor Augen wurde sie wie durch ein Wunder doch noch gerettet. Sie kehrte mit ihrem überglücklichen Florian zum Miklau zurück und ihr Mann pflanzte zum Dank eine Linde, wie von Generation zu Generation weitererzählt wurde.

„Wirklich ging Florian am nächsten Tag in den Wald, grub dort eine schöne, junge, geradwüchsige Linde aus und brachte sie nach Hause. Er pflanzte sie danach an einer Stelle, wo sie als ausgewachsener Baum weithin sichtbar wäre. Und wirklich, die Linde gedieh wahrhaftig gut. Von Jahr zu Jahr wuchs sie prachtvoller und wurde mit der Zeit zu jenem mächtigen Baum, von dem wir zu Beginn unserer Geschichte gesprochen haben und welcher als die Miklav-Linde bekannt ist«. So endet die Erzählung, mit der Fran Zbašnik der jahrhundertealten Überlieferung ein literarisches Denkmal gesetzt hat.

Im stetigen Ringen um Selbstständigkeit

Die mächtige Linde, die Florian Miklau im fernen Jahr 1473 gepflanzt haben soll und die einen solchen Umfang hatte, dass es fünf Männer brauchte, um einen Ring um sie zu bilden, gibt es heute leider nicht mehr. Ein schwerer Sturm im Jahre 1919 setzte ihr ein Ende. Die Familie Miklau aber lebt weiterhin auf ihrem angestammten Hof. Und trotzt auch heutigen Stürmen. Am hoch über dem Tal gelegenen Bauernhof wirtschaften heute Zdravko, auch Folti genannt, und seine Frau Lisi Miklau. Der Miklauhof ist also einer der wenigen, bei dem noch heute der Vulgoname und der Familiennachname übereinstimmen.

Die Familie Miklau ist auch einer der letzten vier Bauernhöfe in Leppen, die hauptberuflich von der Landwirtschaft leben. „Das gilt eigentlich nur für die Männer, auf zwei Bauernhöfen gehen die Frauen mittlerweile in die Arbeit“, sagt Lisi. Im selben Atem fügt sie besorgt hinzu, dass sie nicht mehr sicher ist, dass man beim Miklau auch noch in zehn Jahren vom Bauernhof wird leben können. Die Familie besitzt zwar 110 ha Wald, das meiste davon in steilem Gelände, aber der Wintersturm kurz vor Weihnachten 2017 hat 40 ha zerstört. „Und dann ist noch der Borkenkäfer dazugekommen. Auch wenn wir selber das Schadholz schnell beseitigt haben, waren nicht alle Besitzer der Nachbargrundstücke so achtsam. Leider kennt der Borkenkäfer keine Grundstücksgrenzen“. Zdravko, ihr Ehemann, und der Sohn Stefan haben in letzter Zeit mehr als genug im Wald zu tun, praktisch jeden Tag. Der Dezembersturm hat auch die Naturlandschaft stark verändert, anstatt des ehemals dichten Waldes sind nur noch kahle Flächen zu sehen. Um den Abtransport des Holzes zu ermöglichen, entstanden zudem breite Forstwege. „Wenn es so weitergeht, dann befürchte ich, dass die ganze Sonnseite in Leppen baumlos wird“, sagt Lisi Miklau. Bäume, das Holz, der Wald waren durch Jahrhunderte Existenzgrundlage der Gehöfte rund um Eisenkappel. Sie sicherten deren Unabhängigkeit und die Zukunft. Bis zum Dezembersturm des Jahres 2017.

Eine Investition, die sich rentiert hat

Heute sind Zdravko und Lisi Miklau glücklich darüber, dass sie vor zehn Jahren in einen neuen Stall investiert haben. Obwohl sie damals deswegen belächelt wurden, seien doch Investitionen in die Landwirtschaft heutzutage sinnlos. Am Hof werden jetzt mehr als 50 Angus-Rinder gehalten, die in der hofeigenen Schlachthalle verarbeitet und an Abnehmer in der Gastronomie verkauft werden. Damit sichert sich die Familie zumindest teilweise eine Unabhängigkeit von den zurzeit problematischen Verhältnissen auf dem Holzmarkt.

Obwohl es an Sorgen nicht fehlt, bedauert es Lisi Miklau keinesfalls, auf einen Bauernhof geheiratet zu haben. Die Arbeit als Bäuerin musste sie aber erst erlernen, war sie doch in einer Arbeiter- und Angestelltenfamilie aufgewachsen. „Ich bin richtig gerne Bäuerin geworden und mache die Arbeit noch heute gerne.“ Durch die Heirat mit Zdravko hat sie auch Slowenisch gelernt. Heute ist sie Mutter von vier Kindern, den Söhnen Stefan und Florian und den Töchtern Katarina und Kristina.

Vielleicht wird sich Stefan einmal woanders Arbeit suchen müssen, weil es immer schwieriger ist, allein vom Bauernhof zu leben, grübelt Lisi und sagt, dass in der jahrhundertealten Geschichte bisher alle vom Hof leben konnten. „Wenn ich das aber mit den Problemen der Vergangenheit vergleiche, relativiert sich alles wieder.“ Und sie weiß, wovon sie spricht. Sie hat handfeste Beweise dafür. Beweise, die sie in einer alten Bauerntruhe gefunden hat.

Mehr als 500 Jahre am Hof

Schon immer ist im Haus davon gesprochen worden, dass jemand die Familiengeschichte niedergeschrieben hat, doch niemand wusste, wo diese lag. Als Lisi Miklau vor Jahren bei der Kärntner Bauernkammer ein Geschichtsseminar besuchte, bekamen die Teilnehmer den Auftrag, zu Hause nach historischen Dokumenten zu suchen. Sie ging in die alte Kašča, einen typischen Getreidespeicher der Karawankenregion, und hat, wie sie sich erinnert, „zufällig in eine alte Truhe geschaut. Dort war alles Mögliche drin und als ich das herausgenommen habe, habe ich ganz unten am Boden alte Papiere entdeckt“. Es war ein Bündel alter Dokumente, das älteste stammte aus dem Jahr 1522. In der Urkunde bestätigt der Propst des Klosters in Eberndorf die Übergabe des Hofes an „Peter den Sohn des alten Miklau am Miklauhof“. Sogar das genaue Datum ist dokumentiert, es war der 22. April des Jahres 1522. Nicht mehr lange, und die Familie Miklau wird bewiesenermaßen 500 Jahre am Hof beheimatet sein. Die historischen Wurzeln reichen aber bestimmt noch einige Jahrhunderte weiter zurück.

Alle diese alten Urkunden wurden von Florian Miklau gebündelt, dem Besitzer des Hofes Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, von dem einleitend schon die Rede war. Vermutlich hat auch er die historischen Dokumente in die Bauerntruhe zur Aufbewahrung gelegt. Florian Miklau war es auch, der vor genau hundert und einem Jahr die alte Linde nach einem fürchterlichen Herbststurm beseitigen musste, jene Linde, die sein Vorfahre und Namensvetter im Jahre 1473 nach der Befreiung Matildes aus der türkischen Gefangenschaft gepflanzt hatte. Aus dem Lindenholz ließ er Bretter machen und baute damit ein noch heute erhaltenes Bienenhaus. „Es ist schon ein besonderes Gefühl, wenn man Holz berühren kann, dass vor mehr als einem halben Jahrtausend angefangen hat zu wachsen“, spricht Lisi ehrfurchtsvoll von der Geschichte und den Zeugnissen davon.

Sie ging in die alte Kašča, einen typischen Getreidespeicher der Karawankenregion, und hat, wie sie sich erinnert, „zufällig in eine alte Truhe geschaut. Dort war alles Mögliche drin und als ich das herausgenommen habe, habe ich ganz unten am Boden alte Papiere entdeckt“. Es war ein Bündel alter Dokumente, das älteste stammte aus dem Jahr 1522.

Engel des Vergessens und die Familie Miklau

Die Ehefrau des „Urkundensammlers“ Florian Miklau gebar 13 Kinder, bei der Geburt des letzten starb sie aber. Florian heiratet erneut, seine zweite Frau brachte eine Tochter in die Ehe mit. Diese verliebte sich später in den Sohn des Stiefvaters aus erster Ehe, in ihren Stiefbruder also. Da sie nicht blutsverwandt waren, stand ihrer Vermählung nichts im Wege. Sie bekamen zehn Kinder, eines davon war Mici, die später auf den Winkl-Hof in Leppen heiratete. In die Literaturgeschichte fand sie als Großmutter der Schriftstellerin Maja Haderlap Eingang, die sie in ihrem mit dem Bachmann-Literaturpreis gekrönten Roman Engel des Vergessens mit großer Zuneigung beschrieb.

Den Vater der auf den Winkl-Hof eingeheirateten Mici und Großvater des heutigen Hofbesitzers Zdravko traf ein schrecklich schwerer Schicksalsschlag. In derselben Nacht des 17. Dezember 1937, in der seine Frau in Klagenfurt einen Sohn zur Weltbrachte, Zdravkos Vater, wurde er auf seinem eigenen Grund und Boden von Zöllnern erschossen. Völlig schuldlos geriet er in eine Schmugglerkontrolle, als einer der Zöllner zu seiner Waffe griff und vorschnell abdrückte. Um auf dem Bergbauernhof überleben zu können, musste die Witwe erneut heiraten und nahm ihren Schwager, den Bruder des Getöteten, zum Mann – und die Linie der Familie Miklau setzte sich auf deren Hof ohne Unterbrechung fort. Man lässt sich dort auch heute nicht unterkriegen und nimmt neue Aufgaben mit Tatenkraft in Angriff.

So wie zum Bespiel beim Verein Coppla Kaša, der im Jahre 1994 gegründet wurde. In jenem Jahr sprach sich eine überwältigende Mehrheit der Österreicher für den Beitritt zu EU aus und die Bauern der Gemeinde Bad Eisenkappel-Vellach machten sich daraufhin mit einem Zusammenschluss für die neuen Herausforderungen fit. Ziel ist die Direktvermarktung der eigenen Produkte, von hausgemachten Nudeln und Honig bis zu Fleisch und Wollgarn. Jeden September findet das Coppla Kaša-Fest statt, bei dem selbstproduzierte Waren angeboten werden. Der Name Coppla Kaša setzt sich aus dem im Mittelalter urkundlich festgehaltenen Namen für Kappel –Coppl– und dem slowenischen Dialektausdruck für einen im Eisenkappler Gebiet typischen Getreidespeicher –Kaša– zusammen. Von Anfang an ist Lisi Miklau der Bauerninitiative eng verbunden, jahrelang war sie auch deren Obfrau.

Neuerscheinung der Linde beim Miklav und des Begräbnisses

Kehren wir zum Schluss zur Erzählung über die Linde beim Miklav zurück. Wie schon erwähnt, erschien sie im Jahre 1903 beim HermagorasVerein. Im Jahre 1970 erschien sie in neun Fortsetzungen erneut in der damals in Klagenfurt erscheinenden kärntnerslowenischen Zeitschrift Družina in dom, später geriet sie aber in Vergessenheit. Kein Exemplar des im Jahre 1903 erschienenen Buches ließ sich mehr auftreiben. Die einzige erhaltene Ausgabe schien nur noch in der slowenischen National- und Universitätsbibliothek in Ljubljana zu liegen, bis der Direktor des HermagorasVereins Karl Hren schließlich im hauseigenen Archiv doch noch zwei Exemplare ausfindig machen konnte. Eines davon nennt heute die Familie Miklau stolz ihr Eigen.

Die Erzählung über die Linde beim Miklav ist zusammen mit einer anderen Geschichte des Schriftstellers Fran Zbašnik, Das Begräbnis (auch diese spielt in der Bergtälern um Eisenkappel) sowohl im slowenischen Original als auch in deutscher Übersetzung (Miha Traunik und Julija Schellander-Obid) in Buchform im Rahmen des grenzüberschreitenden Projekts Smart Tourist (eine Kooperation des slowenischen Medienhauses Gorenjski glas, des Hermagoras-Vereins und des Klagenfurter IT-Unternehmen xamoom) erschienen.