Schön zu hören, dass noch gelesen wird

Der kärntnerslowenische Schriftsteller Florjan Lipuš lebt in Sielach (Sele) bei Sitterdorf (Žitara vas). Er wurde in der Gemeinde Bad Eisenkappel (Železna Kapla) geboren und ist Träger höchster österreichischer und slowenischer Auszeichnungen.

    Autor JOŽE KOŠNJEK
    Übersetzung BOJAN WAKOUNIG

Herrn Lipuš, einleitend ein paar Fragen zu ihrer Kindheit und Jugend. Sie sind in der Umgebung von Eisenkappel (Železna Kapla) aufgewachsen, in einer Zeit, die für ihre slowenische Familie besonders schwierig war.

„Ich kam im Mai des Jahres 1937 in Lobnig (Lobnik), einem Seitental in der Nähe von Eisenkappel zur Welt, auf einem Bauernhof, auf dem meine Mutter Magd war. Mit zwei Jahren übersiedelten wir in ein anderes Seitental, nach Remschenig (Remšenik), wo mein Vater Arbeit als Forstarbeiter beim Grafen Thurn-Valsassina fand. Von einem schwierigen Leben habe ich nichts mitbekommen; für ein Kind ist alles so, wie es ist, normal“.

Der Zweite Weltkrieg hat in ihrer Familie und in ihrer Jugend schwere Spuren hinterlassen. Ihre Mutter starb im KZ.

„Nachdem der Krieg ausgebrochen war, wurde mein Vater in die Hitler-Armee einberufen, meine Mutter wurde von einheimischen Gestapoleuten ins Konzentrationslager Ravensbrück gebracht, wo sie vier Monate vor Kriegsende starb. Mein Bruder Franci und ich lebten seitdem bei Verwandten in Remschenig und Leppen (Lepena), bis mein Vater aus dem Krieg zurückkehrte und noch einmal heiratete“.

„Florjan Lipuš ist ein slowenischer Schriftsteller, weil er auf Slowenisch schreibt, er ist aber auch ein österreichischer Schriftsteller, da er in Kärnten lebt. Er ist außerdem auch ein europäischer und Weltschriftsteller, beschreibt er seinen Werken doch den Menschen, der mit denselben Problemen, Ängsten und Hoffnungen auch anderswo und in jeder anderen Zeit leben könnte. (… ) Mit seinen Werken trägt Florjan Lipuš dazu bei, dass die slowenische Sprache in Kärnten und Slowenien erhalten wird und sich weiterentwickelt. Er schreibt auf Slowenisch und versteht den Kampf gegen das Auslöschen slowenischer Worte und Redenswendungen als seine Aufgabe. Die Sprache ist Basis des Selbstbewusstseins und es geht nicht darum, wie viele Sprecher sie hat, sondern wie diese mit der Sprache umgehen“, sagte der slowenische Präsident Borut Pahor anlässlich der Verleihung des Goldenen Verdienstordens an Florjan Lipuš am 8. Februar des vorigen Jahres.

Florjan Lipuš, kärntnerslowenischer Schriftsteller, lebt in Sielach/Sele bei Sittersdorf/Žitara vas

Vom Priesterkandidaten zum Lehrer

Nach dem Krieg traten sie ins Priesterseminar ein, verließen es aber wieder. Dann begann der Überlebenskampf. Sie übten verschiedenste Berufe aus, vom Briefträger bis zum Versicherungsvertreter.

„Erst mit neun Jahren konnte ich mit dem Schulbesuch in Leppen beginnen. Nach dem Umzug nach Remschenig ging ich dann nach Eisenkappel zu Schule und wurde 1949 ins Gymnasium auf den Tanzenberg geschickt, und zwar mit der Absicht, dass ich Priester werden sollte. Nach der Matura trat ich somit ins Priesterseminar ein, verließ es aber nach drei Jahren wieder und wurde nach verschiedenen beruflichen Zwischenstationen Lehrer“.

Sie waren wissbegierig und wurden Lehrer. Wie war es, in zweisprachigen Schulen zu unterrichten, als Slowenisch nicht besonders geschätzt oder sogar verschmäht wurde?

„Ich unterrichtete in zweisprachigen einklassigen Schulen in Remschenig und Leppen, zuletzt in St. Philippen bei Sonegg (Šentlipš pri Ženeku). Slowenisch wurde genau so sehr geschätzt, wie es die Lehrer schätzten, und genauso sehr diskriminiert, wie es die Lehrer und Herrschenden taten. Ich habe an beiden abgelegenen Schulen gerne unterrichtet und die erste Aufgabe war es, den Kindern Deutsch beizubringen. Ich habe mich gut gefühlt, weil auch die Anzahl der Kinder angenehm klein war. In St. Philippen, das schon damals stark eingedeutscht war, änderten sich die Umstände aber zum Schlechteren. Das Slowenische war mehr oder weniger nur noch ein Anhängsel“.

Das heimlich geschriebene erste Buch

Wann habe sie ihr erstes Buch verfasst?

„Das erste Buch Skizzen im Vorübergehen (Črtice mimogrede) habe ich als Priesterseminarist heimlich geschrieben. Zu dieser Zeit gaben wir schon die slowenische Literaturzeitschrift Mladje heraus, in der wir unter Pseudonymen veröffentlichten. Damals entstand auch schon der Roman Der Zögling Tjaž (Zmote dijaka Tjaža). Ich habe das Manuskript dem Hermagoras-Verlag angeboten, es wurde aber abgelehnt, weil es nicht mit dessen weltanschaulicher Orientierung übereinstimmte. Die geistige Enge macht uns noch heute zu schaffen. Jene an den Machthebeln wehren sich immer gegen Menschen, die sich ins Neuland wagen. Ich denke, dass Kreativität Widerspruch und sogar Widerstand braucht, aber auch Schmerz – solche Momente gibt es in einer der slowenischen Sprache abgeneigten Atmosphäre aber zuhauf“.

Später folgten noch viele Werke. Alle in slowenischer Sprache geschrieben, die für sie heilig ist. Sie haben gesagt, dass man mit der Sprache sei oder nicht sei, auf der Sprache beruhe auch die nationale Identität.

„All das mit Sprache stimmt und ich möchte es nicht wiederholen. Entweder man hält sich an diese Gesetzmäßigkeiten und stärkt die Zukunft oder man vernachlässigt sie, wie es alle slowenischen Regierungen tun. Sagen wir es offen, dass uns materielle Güter genügen. Die Sprache aber ist uns egal“.

Spiegeln sich in ihren Büchern ihr Leben, ihre Erinnerungen, ihr Erleben der Kindheit und der Jugend?

„Alle Bücher gibt es deswegen. Für den Autor bedeuten sie natürlich noch etwas mehr“.

Ihr letztes Buch Schotter (auf Slowenisch Gramoz) war in der deutschen Übersetzung auch in Österreich ein Bestseller. Außerdem haben sie vor zwei Jahren den österreichischen Staatspreis für Kunst erhalten. Welche Bedeutung hat das für sie als bekennenden Slowenen? Ist das eine offizielle Bestätigung, dass Österreich und Kärnten auch für Slowenen eine Heimat sind?

„All das, was sie sagen, entspricht der Wahrheit, alle diese Tatsachen, die natürlich Momentaufnahmen und vergänglich sind und erst bewiesen werden müssen. Hervorzustreichen ist die Gleichwertigkeit der slowenischen Sprache. Österreich hat sich auf höchster Ebene dazu bekannt, trotz aller Anfangsschwierigkeiten, dass die slowenische Sprache nicht nur ein Teil der österreichischen Gesamtkultur ist, sondern auch wert ist, geachtet und geschätzt zu werden“.

„In der slowenischen Tradition wurde die Volksseele durch die Sprache gerettet. Es waren nicht die wirtschaftlichen Erfolge, die ihr zu Hilfe kamen. Heute wird sie durch kapitalistische Geschäftemacherei gerettet. Das Selbstbewusstsein findet seinen Ausdruck in der Sprache und die Sprache ist nicht nur Grammatik und Wortschatz, sondern das Leben an sich. Die Sprache ist zwar nicht alles auf dieser Welt, doch ohne Sprache ist alles nichts. Für den Einzelnen ist die Sprache Spiegelbild seiner Persönlichkeit und seines Charakters. Doch viele bieten letzteres zum Kauf an, um einen geringen Preis dazu, sie schachern und treiben Geschäfte damit“. (In: Novice, Klagenfurt, Juli 2015)

Die Sprache geht verloren

Auch die Republik Slowenien hat die Bedeutung ihres Werkes anerkannt und ihnen den Prešeren-Preis als höchste Kulturauszeichnung verliehen. Ist sich Slowenien der Rolle der slowenischen Volksgruppe in Kärnten für die slowenische Kultur und Sprache insgesamt bewusst?

„Slowenien kümmert sich um die Volksgruppe in Österreich herzlich wenig. Was verständlich ist, geben doch die Kärntner Slowenen Slowenien selber wenig Grund, für uns etwas zu leisten. Wir selbst geben uns auf und vernachlässigen die Sprache. Es liegt uns wenig daran, uns zu erhalten. Es ist klar, wohin die Reise geht: wie haben wir uns doch über das Vorbild gefreut, dass eine slowenische Autorin ihr Buch auf Deutsch geschrieben hat. Dass sich darüber eine deutsch orientierte Kärntner Öffentlichkeit freut, ist verständlich, dass wir Kärntner Slowenen uns darüber freuen, verwundert aber. Schon allein die Tatsache, dass ein slowenischer Autor ein deutsches Buch herauszugeben vermag, wird als außerordentliche Leistung und Fortschritt empfunden. Das Vertrauen in das Eigene ist gering. Es stimmt aber auch, dass man mit den eigenen Büchern in Kärnten nicht reich wird“.

Mit der slowenischen Sprache beginnt und endet für sie die Welt. Neben ihrem Haus steht eine private Tafel mit der zweisprachigen Aufschrift Sielach/Sele. Eine offizielle Tafel gibt es nicht, weil sich die Gemeinde Sittersdorf dagegen wehrt. Deswegen haben sie auch ihre Ehrenbürgerschaft in der Gemeinde zurückgegeben. Ist das Beispiel Sielach/Sele der Beweis dafür, dass es in Kärnten noch immer kein wahres sprachliches Miteinander gibt?

„Ich bin ihnen dankbar, dass ich all das nicht aufzählen muss. So ist es. Es fehlt an Menschen, mit denen man ein sprachliches Miteinander umsetzen könnte. Die Sprache verschwindet aus dem Dorf. In Sielach wurde vor siebzig Jahren praktisch in jedem Haus nur Slowenisch gesprochen, heute in keinem mehr. Man hat die Umsetzung der Bestimmungen aus dem Staatsvertrag verzögert und fünfzig Jahre darauf gewartet, bis die Zahl der Slowenen zurückging, dann hat man in einigen Ortschaften zweisprachige Tafeln aufgestellt. Der Bürgermeister dieser Gemeinde oder der Gemeinderat wollen den wenigen verbliebenen Slowenischsprechenden in Sielach heute keine Tafel in ihrer Sprache aufstellen, obwohl man diese mit einer Unterschriftensammlung mehrheitlich verlangt hat“.

Schreiben sie noch? Es wäre schade, wenn sie es lassen würden. Wie verbringen sie ihre Tage? Sie leben inmitten einer wunderbaren Natur. Sind sie Naturliebhaber?

„An Arbeit fehlt es mir nicht, weder am Schreibtisch noch im Garten. Auch die Bücher verlangen immer wieder Ihres ab. Doch es ist immer wieder schön zu hören, dass noch gelesen wird und dass nicht überall Fäulnis, Nachlässigkeit und Stillstand herrschen“.

Welche Bedeutung haben für sie die Karawanken?

„Ich denke dabei daran, dass Kärnten wirklich ein von Natur aus schönes Land ist und dass es diese Schönheit nicht verdient. Die Schönheit der Natur passt nicht zur geistigen Enge und Abschottung, zur nationalen Überspanntheit, zur Präsenz nazistischen Gedankengutes. Offiziell verbinden die Karawanken beide Länder, im wirklichen Leben trennen sie sie. Natürlich gibt es Einzelpersonen, die anders denken und wirken. Es ist schön, dass sich dieses Bild dank guter nachbarschaftlicher Beziehungen bessert und das auch die Karawanken eine angenehmere Bedeutung erlangen“.

Florjan Lipuš erhielt die höchste slowenische Auszeichnung, den Goldenen Verdienstorden.

Lebenslauf von Florjan Lipuš

Florjan Lipuš (Pseudonym Boro Kostanek), kärntnerslowenischer Schriftsteller und Übersetzer, wurde am 4. Mai 1937 in Lobnig (Lobnik) bei Bad Eisenkappel (Železna Kapla) geboren.1946 begann er mit dem Besuch der Volksschule in Leppen (Lepena), ab 1949 besuchte er das Humanistische Gymnasium auf dem Tanzenberg in der Nähe von Maria Saal (Gospa Sveta). Er maturierte 1958 und war darauf fast vier Jahre im Priesterseminar in Klagenfurt. Nach dem Austritt im Jahre 1962 verdingte er sich mit verschiedenen Tätigkeiten, unter anderem war er Postbediensteter, Schreibkraft und Versicherungsvertreter. Im Jahre 1966 wurde er durch Valentin Inzko sen. dazu überredet, an der Pädagogischen Akademie in Klagenfurt zu studieren. Er war als Volksschullehrer in Remschenig (Remšenik), Leppen und bis zur Pensionierung in St. Philippen (Šentlipš) tätig. Im Jahre 1985 wurde er korrespondierendes Mitglied der Slowenischen Akademie der Wissenschaften und Künste. Schon während seiner Schulzeit in Tanzenberg redigierte er die slowenische Internatszeitschrift Kres, nach Eintritt in das Priesterseminar war er Redakteur der kärntnerslowenischen Literaturzeitschrift Mladje, der er mehr als zwanzig Jahre treu blieb. Lipuš kann auf ein umfassendes literarisches Opus verweisen. Seine wichtigsten Romane sind Der Zögling Tjaž (Zmote dijaka Tjaža) – 1972, Die Beseitigung meines Dorfes (Odstranitev moje vasi) - 1983, Herzflecken (Srčne pege) - 1991), Verdächtiger Umgang mit dem Chaos (Stesnitev) - 1995), Boštjans Flug (Boštjanov let) - 2003) und Schotter( Gramoz) - 2017. Er ist Autor des Bühnenstücks Tote Verkündigung (Mrtvo oznanilo) und mehrerer Erzählungen. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Literaturpreis des Landes Kärnten, den Österreichischen Würdigungspreis für Literatur, den slowenischen Prešeren-Preis, den Großen Österreichischen Staatspreis und den Goldenen Verdienstorden der Republik Slowenien.

Aus dem Roman Schotter

„Im ersten Krieg wurden die Grundlagen für den zweiten gelegt, im zweiten die Grundlagen für den dritten, in jedem einzelnen legten sie auf ihre Weise Grundsteine, im Wissen, dass Krieg unaufhaltsam Krieg auf die Welt bringt. Jeder Krieg trägt zwangsläufig das Seine dazu bei, dass der Krieg nicht zu kurz kommt, nicht behindert wird und nicht aufhört, Krieg zu sein. Die der Kriegsführung Kundigen beschäftigen sich damit, wie der Krieg in seiner Ganzheit und Unberührtheit, in seiner Vollständigkeit und Logik bewahrt werden kann. Sie zerbrechen sich den Kopf darüber, wie und wozu der Rohstoff Krieg zu verändern wäre, wie er bearbeitet werden könnte und zu nutzen wäre. So steckt in jedem Krieg der Keim des neuen Krieges, der eine wachsende, gesteigerte Furcht in die Knochen treibt. Was der Krieg gebiert, vollführt den Krieg, was den Krieg vollführt, vermehrt den Krieg. Einer greift in den anderen, der frühere streut die Samen für den gegenwärtigen aus, für den Krieg, der noch in den Keimen steckt. Der Krieg, der noch in den Windeln liegt, gewährleistet, dass der Kriegssamen keimt und der Wuchs der Triebe nicht stockt, dass die Ernte reiche Früchte einbringt, sich das Kriegstreiben entfaltet und in Gang kommt, zur Konstante wird, kurz, dass die Kriegshändel blühen und gedeihen. (aus dem Roman Schotter; Übersetzung Johann Strutz)