Wie man es auch dreht und wendet, Prešeren ist ein Dichter von Weltformat

Das Ehepaar Marjan Vrabec und Alenka Bole Vrabec teilt seit über 50 Jahren die Liebe zu Büchern. France Prešerens Poesie hat in deren reichen privaten Sammlung und Herzen einen besonderen Platz. Die Bezeichnungen »größter slowenischer Dichter« und »das Buch, mein bester Freund« sind bei den Eheleuten Vrabec eine wahre Tatsache, weit entfernt von tagtäglichen Klischees.

    Autor MARJANA AHAČIČ
    Übersetzung BOJAN WAKONIG
    Fotos GORAZD KAVČIČ

Marjan Vrabec aus der Stadt Radovljice/Radmannsdorf besitzt in seiner Wohnung im vierten Stock seines Wohnhauses in Radovljica eine reiche Sammlung an Prešerens Poesie. Ein Exemplar von jeder Herausgabe, zahlreiche Übersetzungen – mehr als 120 sind es insgesamt – sowie Romane und andere Literatur, die mit Prešeren zu tun haben. Seine Ehefrau Alenka Bole Vrabec, Übersetzerin und Bühnenschauspielerin, teilt die Liebe ihres Mannes zu diesem weltbe-kannten Dichter und auch zu dessen Büchern, ihren besten Freundinnen, weit vom Klischee entfernt.  

Als wir das letzte Mal miteinander gesprochen haben, Herr Vrabec, sagten Sie, dass Ihnen in Ihrer Sammlung eine Ausgabe von Prešerens Poesie in bengalesischer Sprache fehlt. Konnten Sie diese Ausgabe ausfindig machen?  

Marjan Vrabec: »Ja, diese habe ich bereits. Vor einiger Zeit habe ich diese Ausgabe bekommen, wie auch die meisten in Trubars Antiquariat in Ljubljana.« 

Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie diese Ausgabe in den Händen hielten?  

Marjan Vrabec: »Wunderbar! Ich habe die Stelle sofort gefunden, wo sich »Zdravljica« befindet ... Die Reihenfolge der Gedichte ist auch in dieser Ausgabe dieselbe wie in der slowenischen.« 

Seit Jahrzehnten gehören Sie und Ihre Frau zu den treuesten Besuchern der Bücherei in Radovljica. Trotzdem haben Sie Ihre eigene, außergewöhnlich reiche Bibliothek. Warum wollen Sie so sehr von Büchern umgeben zu sein?  

Marjan Vrabec: »Für mich ist ein Buch wie ein lebendiges Wesen. Wenn ich es in die Hände nehme, kenne ich es. Alle Bücher, die ich zu Hause habe, habe ich natürlich gelesen. Und ich weiß ganz genau, wonach ich in dem Buch suche. Vielleicht das Gefühl, das ich brauche, um schlechte Laune zu vertreiben ... Hier könnte ich zahlreiche Definitionen darüber aufzählen, was ein Buch bedeutet ... Ich brauche Bücher wie das tägliche Brot.« 

Alenka Bole Vrabec: »Mein Mann ist Sammler, ich bin Übersetzerin. Jedoch: Eine Beziehung zu Büchern zu haben, ist so, wie wenn man jemanden strei-cheln möchte. Es ist schön, wenn es aufgrund der Nähe unmittelbar geschehen kann. Es geht um Gefühle wie Wärme, Erwartung ... Die Antwort auf Ihre Frage würde der Titel des Dokumentarfilms geben, den Peter Ovsec über mich und meine Arbeit für das Nationalfernsehen gedreht hat: Niemals ohne Bücher. Wissen Sie, ich habe immer, egal wohin ich gehe, wenigstens ein Buch dabei. Deshalb fällt es mir auch nie schwer, zu warten, ob beim Zahnarzt, im Wartezimmer eines Facharztes, auf dem Amt ... Ich rege mich nicht auf, wenn ich warten muss, ich habe doch meine Freundin dabei.« 

Für Sie beide besteht das Dilemma »Buch: JA oder NEIN?« auch in Zeiten neuer Medien also nicht?  

Alenka Bole Vrabec: »Überhaupt nicht, aber für die Generation, die jetzt aufwächst, ist das möglicherweise eine relevante Frage...« 

Marjan Vrabec: »Die Leute sind nicht mehr so wie sie früher... Das Problem ist der Mensch, nicht das Buch und wir müssen zugeben, dass wir momentan wirklich in der Situation sind, wo das Buch verdrängt wird und ihm die historische Rolle aberkannt wird, die es immer hatte. Leider hat die junge Generation diesbezüglich auch aufgrund neuer Medien ihre Ansichten, die sich von unseren unterscheiden. Wie lange diese Philosophie neuer Medien anhalten wird, kann ich schwer beurteilen, aber laut unterschiedlichen Philosophen, Experten aus dem Literaturbereich, der Soziologie, glaube ich, dass das Buch auch als Medium wieder an Bedeutung gewinnen wird. Manche Dinge währen eben ewig.« 

Ist der Duft des Papiers derjenige, der Vorrang im Vergleich zu elektronischen Büchern hat? 

Marjan Vrabec: »Mit Sicherheit ist das einer der Gründe.«  

Alenka Bole Vrabec: »Auch!« 

Marjan Vrabec: »Am besten versteht man ein Buch – und meine Liebe zu ihm - , wenn man es als Teil der Künstlerwelt nimmt. Durch diese Ansicht kom-men einem die Illustratoren näher, sowie alle möglichen Kommentatoren, Essayisten und die Menge an Leuten, die sich mit dem Buch befasst. Tatsache ist, dass das Buch für den Menschen einen brauchbaren Begleiter darstellt, am häufigsten ist er Wegweiser, Mentor ... Deshalb ist es ein besonderer Genuss, Bücher zu Hause zu haben. Schauen Sie, (mit dem Finger zeigt er zum Bücherregal) Orpheus' Gesang ... Wann hatte ich ihn das letzte Mal in den Händen? Und daneben Faust, Luxusausgabe, slowenische Enzyklopädie, deren erste Hälfte noch in Jugoslawien veröffentlicht wurde, die andere Hälfte im selbststän-digen Slowenien, danach folgte die französische Enzyklopädie ...« 

Ich erinnere mich an Zeiten, als manche Leute Bücher in Sammlungen wie Meterware kauften, um sich vor Besuchern zu rühmen. Kannten Sie ebenfalls jemanden, der sich auf diese Weise seine Wohnung einrichtete?  

Alenka Bole Vrabec: »Ja. Aber ich kann mich auch bezüglich der Meterware erinnern, dass ich zu sagen pflegte, dass es bei uns nur France Prešeren als Meterware gibt!  

Marjan Vrabec: »Es sind bereits sechzehn Meter, wenn ich das jetzt grob messe...« 

Wirklich eine verblüffende Zahl, Herr Vrabec. Wie trat Prešeren eigentlich in Ihr Leben und formte Ihre Bahnen, nach denen Sie sich auch heue noch richten?  

Marjan Vrabec: »Ich lernte Lesen, als ich fünf, sechs Jahre alt war; Krieg gab es noch nicht. Ich erinnere mich an Finžgars »Makalonce«, die mit schönen Illustrationen glänzten. Dann fand ich unter den Büchern meines Vaters Gregorčičs Poesie, die erste Ausgabe, glaube ich... Gregorčič war natürlich einfa-cher, gefühlvoller, weniger anspruchsvoll als Prešeren, auf den ich später gestoßen bin. Er zog mich nicht sofort an, er war zu anspruchsvoll und ich nicht reif genug, um ihn zu verstehen. Dann aber kam der Krieg und die Nachkriegszeit, die Zeit, in der der Mensch schnell reif wird. In dieser Zeit verband ich mich mit Prešeren. Ich erinnere mich, wie ich die Einleitung zum Werk »Krst pri Savici« (übersetzt: Taufe an der Savica) las – wie bekannt kamen mir Črtomir und all die anderen Leute im Gedicht vor! Ich erinnere mich auch, wie ich es Prešeren übel nahm, dass er Črtomir, den Kämpfer, am Ende unter die Priester schickte.« 

Wann fingen Sie an, Prešerens Gedichte auswendig zu lernen?  

Marjan Vrabec: »Wenn ich ehrlich bin, weiß ich es nicht. Ich habe einfach gelesen und gelesen, ich hatte ein gutes Gedächtnis. Auf einmal stellte ich fest, dass alles in meinem Kopf ist, dass ich gar kein Buch mehr brauche!« 

Frau Bole Vrabec, Ihre ersten Begegnungen mit Büchern waren nicht zufällig, oder doch?  

Alenka Bole Vrabec: »Nein, nein, meine Eltern verfügten über eine große Bibliothek und ich hatte eine Hauslehrerin, die uns während des Krieges heimlich besuchte. Wir hatten sowohl die komplette Sammlung »Hram in Modra ptica«, als auch viel deutsche Literatur, weil meine Mutter die Sprache beherrschte. Ich weiß, dass ich fünf Jahre alt war, als ich mit dem Lesen anfing, als »Naš rod« (übersetzt: Unser Stamm) herausgegeben wurde. Ich kann mich auch an das Alphabet erinnern. Mit sieben konnte ich schon fließend lesen und schreiben. Man sagte mir zwar, dass die Schrift krakelig war, aber immerhin ...« 

Marjan Vrabec: So ist es auch heute noch ...« 

Alenka Bole Vrebec: »Das gebe ich zu, obwohl meine Schrift schön aussieht, ist sie sehr schwer zu lesen. Prešeren lernte ich in der Mittelschule kennen, aber weniger wegen der Poesie, sondern mehr wegen der Illustrationen. Ich habe in Erinnerung, dass das Buch auf den oberen Rändern sehr schön verziert war.« 

Marjan Vrabec: »Das ist eine Ausgabe von 1938.« 

Alenka Bole Vrabec: »Ich war begeistert von dem Gedicht »Od Železne ceste« (übersetzt: Von der eisernen Straße), alles andere habe ich damals noch nicht verstanden. Danach folgten Balladen und Romanzen, die ich während der Zeit auf dem Gymnasium liebte, Sonetts blieben noch für einige Zeit unent-deckter Schatz. Interessant ist, dass ich bei der Aufnahmeprüfung auf der Schauspielakademie »Povodni mož« (übersetzt: Der Wassermann) aufsagen muss-te. Professor Slavko Jan lobte mich, dass ich die Ballade hervorragend vorgetragen hätte. Das fand ich gut. Damals stieß ich zum ersten Mal auf das Gefühl der Zufriedenheit, das einen erfüllt, wenn man feststellt, dass es möglich ist, die Poesie, die man liebt, auch gut vorzutragen.« 

Stehen »lieben« und »gut Vortragen« in Verbindung? 

Alenka Bole Vrabec: »Ach, nein, es steht überhaupt nicht in Verbindung. Man kann ruhigen Mutes auch das aufsagen, was einem nicht so am Herzen liegt. Das wird den Schauspielern auf der Akademie beigebracht. Doch es gibt einen Unterschied in der Art – man kann rational und respektvoll aufsagen, oder das Gedicht berührt einen so tief, dass man von Emotionen geleitet wird. Die Barriere zwischen lieben und fachlich vortragen ist sehr dünn. Man muss sehr aufpassen, dass man sie nicht übertritt.« 

Sie leben beide jahrzehntelang in Radovljica/Radmannsdorf, irgendwo zwischen Prešerens Kranj und seinem Geburtshaus in Vrba.  

Alenka Bole Vrabec: »Wissen Sie, dass auch Rosamunde laut erster Version in Radovlica lebte? Später fand Prešeren Turjak/Auersperg rühmender und siedelte sie um. Radovljica blieb also nur noch in fachlichen Aufzeichnungen und Überlieferungen.« 

Finden Sie, dass Sie Prešeren auch deshalb besser verstehen und mit anderen Augen sehen, weil Sie ihm auch geografisch näher sind?  

Alenka Bole Vrabec: »Besser auf jeden Fall nicht. Aber wenn ich mich an meine Zeit am Gymnasium zurückerinnere, als ich jeden Morgen auf dem Weg zur Schule am Park von Prešeren vorbeiging ...« 

Marjan Vrabec: »Nein, nein, obwohl alle biografischen Erinnerungen an sein Leben sicherlich auch auf mich Einfluss nahmen.« 

Welche Erfahrung machten Sie, als Sie Prešeren auf Deutsch gelesen haben?  

Alenka Bole Vrabec: »Ich weiß nicht, ob er bei uns schon den Rang hat, den er auch als deutscher Dichter verdient, denn seine deutschen Gedichte sind ebenfalls hervorragend geschrieben!« 

Marjan Vrabec: »Natürlich hat er ihn nicht. Uns hat das nie gefallen und den Deutschen ebenso wenig.« 

Alenka Bole Vrabec: Auch bei der Interpretation ist der Ansatzpunkt völlig anders, obwohl der Gedanke derselbe ist. Zum Glück sind einige der deutschen Gedichte von Prešeren mit Gefühl ins Slowenische übersetzt und umgekehrt genauso.« 

Marjan Vrabec: »Die Übersetzungen von Klaus Detlef Olof sind ausgezeichnet. Wie man es auch dreht und wendet, Prešeren ist ein Dichter von Weltformat.«

Alenka Bole Vrabec

Marjan Vrabec

Das Ehepaar Marjan Vrabec und Alenka Bole Vrabec